Video, China, 2014 Zehntausend Wasse Tausend Berge
In ihrer neue Performancearbeit Zehntausend Wasser Tausend Berge (2014) projiziert Cao eine Videocollage an eine Wand, während ihre Live-Aktion mit dem projizierten Image interveniert. Das projizierte Video ist eine Zusammensetzung von Flüssen, die sie selber in ihrer Heimat aufgenommen hat. In der Performance blättert sie durch ein chinesisches Malereilehrbuch. Dabei handelt es sich um das Malereihandbuch des Senfkorngartens, eines der frühsten chinesischen Lehrbücher für Malerei. Es ist eine Sammlung, die von Wang Gai (tätig etwa 1677 und 1705) und seinen Brüdern erstellt worden ist, mit der frühe Beispiele von Meisterwerken samt Erklärungen der Maltechniken vermittelt werden.16 Verschiedene Landschaftsdarstellungen aus dem Buch sind auf der Leinwand zu beobachten, während die Künstlerin das Buch durchblättert. Das projizierte Buch ist durch Komplexität gekennzeichnet, insofern als dass die Projektion des Wasserlandschaftvideos mit Aufnahmen von der simultan durchgeführten Aktion der Künstlerin collagiert ist. In dieser Performance vereint Cao das Image und die Bewegung in eins. Ihr Titel öffnet dabei einen Interpretationsraum zur Zahl Zehntausend in taoistischem Sinne. In einem Gedicht aus dem Kapitel 42 des Dao De Jing wird Gerhardt Staufenbiel, Dozent für Philosophie, Kulturgeschichte und Religion (Buddhismus, Hinduismus) bei der Münchner Volkshochschule, zufolge die Entstehung des Universums dargestellt, in der jede Zahl auf symbolische Bedeutung hinweist und Zehntausend mit dem Qi in Verbindung gebracht wird17.
Die wortwörtliche Übersetzung des Gedichts aus der chinesischen Fassung lautet: DAO lebt EINS
EINS lebt ZWEI
ZWI lebt DREI
DREI lebt ZEHNTAUSEND DINGE
ZEHNTAUSEND DINGE : tragend YIN, haltend YANG Qi unendlich offen : das gewährt Harmonie
Die Übersetzung von Ernst Schwarz lautet: Das Dao gebar das eine
Das eine gebar die zweizahl
Die zweizahl gebahr die dreizahl
Aus der dreizahl wurde die vielzahl18
Einerseits kann das projizierte Bild als Symbolbild für „Vielzahl“ von Wasser stehen. Andererseits kann das Wasser auf den realen Ort ihrer Heimat verweisen, der aus unzähligen Wasserwellen besteht. Außerdem nannte Mao China das Land der zehntausend Flüsse und tausend Berge, was China mit der Landschaft von Unmengen von Flüssen und Bergen assoziieren lässt.
Das Projizierte und das Live-Bild konkurrieren gegenseitig, indem sie collagiert sind und zum Teil einander überblenden. Jedoch ergänzen sie sich, indem sie Wasser und Landschaft, die durch die Überkreuzung von den Vergangenen und den Zeitgenössischen, den Zeichnungen und den Bewegtbildern vorgeführt werden. Zehntausend Wasser Tausend Berge lässt Caos Interesse an der Überschneidung zwischen der Live-Performance und der Projektion deutlich erkennen, die den Betrachter in der komplexen Verbindung zwischen Titel, Bild und Live-Performance fordert und nach der Deutung auf der einer symbolischen Ebene fragen lässt.