Die künstlerin geht zur Arbeit

 

DIE KÜNSTLERIN GEHT ZUR ARBEIT: IDEAL | INDIVIDUUM | IDENTITÄT

Das Werk von Yixiao Cao ist geprägt von einem konzeptionellen Umgang mit verschiedenen Medien. Als Künstlerin erforscht sie dabei Erinnerungen, Emotionen und Formensprachen nicht allein im digitalen Spektrum, sondern auch im Bereich der Plastik und Objektkunst. In ihrer Arbeit experimentiert sie mit verschiedenen Materialien und Realitätsebenen, immer mit dem Fokus, die Welt des Alltäglichen mit der Welt der Kunst zu verbinden.

Ganz prominent ist dabei das Video mit dem gleichnamigen Titel der Ausstellung „Die Künstlerin geht zur Arbeit“. Als Zweikanal-Video angelegt, leuchten abwechselnd unterschiedliche Szenen auf, die die Künstlerin bei der Ausübung von verschiedenen Berufen zeigt. Begleitet wird die szenische Arbeit von einer monotonen Stimme, die dokumentarisch abwechselnd in chinesischer und deutscher Sprache die Tätigkeiten festhält. Die Künstlerin erlernte und versetzte sich hierfür in reale Personen und Berufe, sowohl in Beijing, als auch in Düsseldorf und Köln. Auf intime Weise gibt sie somit einen Einblick in das soziale Leben verschiedener Personen, zu deren unterschiedlichen Lebenssituationen Bezüge aufgestellt werden können. Das Prinzip Künstlerisches mit dem Alltäglichen zu verbinden manifestiert sich hier in ihrer Person. Der Schnitt der Schere beim Friseur wird zur Performance, das Eindecken des Tisches zu einer künstlerischen Aussage. Dabei ist die Trennung der Künstlerin von ihrem Werk völlig aufgehoben, denn indem sie sich die Hülle der Arbeitsuniform überzieht, wird sie selbst zur Leinwand. So wird alltägliches, menschliches Handeln ganz im Sinne von Beuys Forderung nach der sozialen Plastik, zur Performance. Dies stellt uns vor die Frage, welchen Stellenwert wir unseren täglichen Handlungen beimessen.

Die Transformation der Künstlerin in ihre Rolle wird uns durch das Werk „Große Fahne“ noch ein stückweit nähergebracht. Wie eine abgestreifte Haut hängt die überlebensgroße Uniform an einem zu ihr proportional harmonischen Kleiderbügel von der Decke herunter. Das Objekt aus vier Meter langen vernähten Stoffbahnen spricht uns unweigerlich als Hemd und Hose an und zwar in der Vorstellung, diese nicht allein darzustellen, sondern tatsächlich zu sein. Aus authentischem einfachem Baumwollstoff gefertigt baut die Arbeit in ihrer fehlenden Materialabstraktion eine Parallele zum Ready-Made auf. Tatsächlich gleicht die Uniform einer realen Arbeitskleidung, die die Künstlerin in der Performance „Die Künstlerin geht zur Arbeit“ getragen hat. Diese wird jedoch nicht eins zu eins als vorgefundenes Objekt präsentiert, sondern im Vergleich zu menschlichen Proportionen in ihrer Größe abstrahiert. Ihrer Funktion als Arbeitskleidung beraubt, muss sie nun vielmehr auf ein symbolische Ebene verstanden werden.

Kleidung ist ein faszinierendes Medium – eine Requisite in unserer täglichen Selbstinszenierung. Sie hat die Eigenschaft uns als Individuum zu charakterisieren oder unsere Zugehörigkeiten auszuschreiben. Doch in dem entscheidenden Spiel der Proportion erscheint die Arbeit in ihren Ausmaßen alles zu erschlagen. Stellen wir uns vor, die zierliche Person der Performance „Die Künstlerin geht zur Arbeit“ würde das Werk „Große Fahne -“ tragen, so sehen wir einen in Stoff ertränkten Körper vor uns, der die Kontrolle über das Medium verloren hat. Auch ist es die Eigenschaft von Uniformen jeden Individualismus aufzuheben und stattdessen eine Gruppe auszuweisen. Sie ist ein Symbol, die eine Gemeinschaft kennzeichnet – wie eine Fahne. Das Textilobjekt „Große Fahne“ steht somit in seiner anthropomorphen Gestalt stellvertretend für das Individuum und für das Kollektiv. Ganz im Sinne des Prinzips All–Eine, stellt es das Subjekt als eine zur Gesellschaft hoch-potenziertes Individuum vor.

Das dokumentarische Werk „Die Künstlerin geht zur Arbeit“ entwickelte Yixiao Cao noch weiter, indem sie die Gebäude der Arbeit zu einer 3D-animierten Stadt verband, die über eine VR-Brille erfahrbar wird. Das Werk „Walk on Smog“ arbeitet mit verschiedenen Realitätsebenen. Durch das Umschließen der Brille taucht man in eine Welt aus einzelnen Gebäudeinseln ein. Das eigene Körpergefühl verleiht einem die Illusion etwas Materielles vor sich zu haben. Tatsächlich basieren die virtuellen Gebäude aber teilweise auf der Erinnerung oder auf der Phantasie der Künstlerin. Sie stellen zudem keine skulpturalen Modellbauten dar, sondern nur ein konstruiertes Bild basierend auf einer Fülle von Datenmengen. Durch die eigene Bewegung des Körpers und die Blickrichtung im konkreten Raum gerät der Bildausschnitt in Bewegung. Nach einer Weile wird jedoch erkennbar, dass die Kontrolle nur bedingt beim Betrachter liegt. Die Animation ist als Zeitschleife angelegt, dessen Seherlebnis nur in der Ausschnitthaftigkeit durch die eigene Bewegung kontrolliert werden kann. Die unaufhörliche Schleife, das Erkennen des Handlungsverlustes macht diesen Illusionsraum auch zu etwas Bedrohlichem. Wie ausschnitthafte Geisterstädte schweben die Gebäude im Traumnebel an einem vorbei. Als Souvenirs einer Erfahrung versinnbildlichen sie den Alltagstrott, dessen digitale Gestalt von außen gelenkt wird und aus dessen Loop man sich nur durch das Absetzen der Brille befreien kann.

Die Ausstellung „Die Künstlerin geht zur Arbeit“ stellt die Forderung an den Betrachter seine eigenen alltäglichen Handlungen und seine Rolle als Individuum in der Gesellschaft zu hinterfragen und in wie weit man über diese die Kontrolle behält.