DIE KÜNSTLERIN GEHT ZUR ARBEIT: die Verwendung des Materials
Yixiao Cao experimentiert in ihrem Werk mit verschiedenen Materialeigenschaften. Jedes Material hat seine eigene Textur, Beschaffenheit und Farbe. Darüber hinaus bringt das Material auch polysensorische Elemente mit sich. Nicht allein die Optik ist bestimmend, sondern auch die Haptik und der Geruch. Materialien sind geprägt von verschiedenen Charaktereigenschaften wie: z. B. hart und weich, dick und schmal, kalt und warm, nass und trocken – und können darüber verschiedene Assoziationen beim Betrachter erzeugen. Die Materialeigenschaft eines Kunstwerkes evoziert nämlich beim Betrachter auch ohne Berührung eine konkrete Vorstellung seiner Eigenschaft.
Dieses Phänomen kommt vor allem beim Werk „die Erinnerung des Stilllebens 1“zum Tragen: Im ersten Augenblick erscheint das Werk in sich harmonisch und in der Darstellungsform der Tradition eines klassischen Stillebens verhaftet. Jedoch auf dem zweiten Blick erkennt man die irritierende Materialkomposition. Entgegengesetzt zu einem klassischen Blumenstilleben eines Brueghels sehen wir hier ein Spiel der Gegensätze. In der Fotografie „die Erinnerung des Stilllebens 1“trifft weiches Fleisch auf hartes Brot, festes Metall auf zarte Blüten. Diese Gegensätzlichkeit wird auch von der Farbigkeit aufgenommen, die ebenfalls auf Kontraste aufbaut. Trotz diesem Spannungsverhältnis der Materialien, ist das Werk „die Erinnerung des Stilllebens 1“ dennoch sehr dem klassischen Stilleben verbunden. Denn die bühnenhafte Komposition, der ausgeprägte Realismus und die hohe Symbolkraft der Gegenstände öffnen den Blick in die Vergangenheit.
In der Hochphase des Stillebens im 17. Jahrhundert wurden Objekte bewusst auf Grund ihrer expliziten Symbolik zusammengetragen. Claus Grimm charakterisiert das Stilleben danach, dass alles ausgeschlossen ist, was über das Lebendige hinausgeht: Menschen, große Säugetiere, Vögel und Fische. Im Französischen spricht man in diesem Fall vom „nature morte“, oder auch „la vie silencieuse“ („das stille Leben“). Die älteste Quelle scheint das holländische „stilleven“ zu sein, und das bedeutet ursprünglich so viel wie „stilles Leben“. In einem Kunstlexikon heißt es dazu: „Darstellung von Gegenständen, Pflanzen und reglosen Lebewesen mit Ausnahme des Menschen in einem abgetrennten Bildfeld oder auf einem eigenen Bildträger “. „Still“ bedeutet „unbeweglich“ und leblos. Das Leben wird dagegen als beweglich und lebendig beschrieben. Im Hintergrund dazu arbeitet aber Yixiao Cao mit Materialien, die in ihrem Werk „die Erinnerung des Stillleben 1“, Lebendiges und Totes miteinander verbindet und somit das traditionelle Stillleben in die Moderne transportiert.
Die Fotografie „Die Erinnerung des Stillebens 2“ wird durch einen Holzstuhl gerahmt, von dem einige Stoffbahnen zu Boden gefallen sind. Bei diesen handelt es sich um Kleidungsstücke der Mutter der Künstlerin, die Sie einst in den 80er Jahren getragen hat. Diese bilden das Beet auf dem ein Kopf gebettet daliegt.
An Stelle eines traditionellen Gipskopfes arbeitet die Künstlerin mit einem Spiel der Materialimitation. Hier wird der reale Kopf der Künstlerin als Fotocollage beigefügt und erhält durch die Schatten die Illusion von menschlichem Fleisch. Diese Materialirritation erzeugt einen hohen visuellen Reiz. Im Moment dieses Kopfes kommt das Prinzip der Worte „Stil“ und „leben“ zum Ausdruck. In seiner Haptik und Fotorealismus erscheint er als wäre er lebendig, jedoch als Fotocollage bleibt er still und leblos.
In seiner körperlosen Form erscheint der Kopf als Irritationsmoment und baut gleichzeitig unweigerlich einen Bezug zur Mythologie auf. Die Legende von David gegen Goliath oder Judith und Holofernes sind beliebte Bildthemen der klassischen Kunstgeschichte, die das Haupt des Besiegten präsentieren. So zeigt auch diese Arbeit trotz des modernen Mediums der Fotografie starke Bezüge zur Tradition.
Entgegen der Immaterialität der modernen Medien muss auch die Fotografie vom Material aus gedacht werden. Denn gerade in der Zeitgenössischen Kunst mit ihren vielfältigen Möglichkeiten, spielt das Material eine größere Rolle als je zuvor.